Vor kurzem habe ich die 15 Kilometer breite Meerenge „La Bocaina“ zwischen Lanzarote und Fuerteventura durchschwommen. Ich überquerte die Ziellinie nicht als Siegerin, aber voller Freude und Leichtigkeit. Als ich mich inmitten auf dem Atlantik befand, erlebte ich einen heiligen Moment: Mein Atem passte sich dem Kommen und Gehen der Wellen an. Ich war in müheloser Einheit mit mir und meiner Umwelt. Jeder Gedanke an die anderen Schwimmer, die Platzierung und andere äußere Faktoren verschwanden in der Tiefe. Zeit und Raum verloren an Bedeutung. Stunden, Minuten und Sekunden verschmolzen zu einer einzigen Gegenwart. Wie hatte ich das geschafft?

Zuvor hatte ich mich fast ein Jahr lang darauf vorbereitet, indem ich etwa 20 Kilometer Schwimmen pro Woche trainierte und den ayurvedischen Empfehlungen und Routinen in allen Lebensbereichen folgte. Während unzähliger Trainingsstunden allein im Wasser, dachte ich über den vermeintlichen Widerspruch zwischen Ayurveda und Leistungssport nach.

„Ich überquerte die Ziellinie nicht als Siegerin, aber voller Freude und Leichtigkeit.”

Ayurveda vs. Leistungssport

Häufig folgen Leistungssportler, zu denen auch ich seit Jahren gehöre, der Philosophie einer körperlichen Qual, entsprechend der gesellschaftlichen Doktrin „höher-schneller-weiter“. Dahinter steht der Irrglaube, dass man als Sportler nur dann leistungsfähig würde, wenn man regelmäßige Schmerzphasen durchstehe, um die eigenen Grenzen zu überwinden und zu verschieben. Aus ayurvedischer Sicht entsteht eine nachhaltige Leistungsfähigkeit jedoch nicht durch Schmerz. Denn eigentlich wehrt sich der Körper gegen Schmerz, indem er seine eigenen Schmerzmittel in Form von Endorphinen, Enkephalinen und andere opiathaltigen Substanzen produziert, welche für eine Schmerzlinderung im Körper sorgen und dem Sportler ein Hochgefühl vermitteln, um den Schmerz erträglich zu machen, während die Leistungsfähigkeit sinkt.

Vor diesem Hintergrund war mein Ziel nicht nur das andere Ufer, sondern ich wollte eine unerschöpfliche Quelle der Leistungsfähigkeit anzapfen, jeden Arm- und Atemzug mit Freude und Leichtigkeit erleben und meinem Körper dabei möglichst wenig zu schaden. Ich bin der Auffassung, dass sich der Widerspruch zwischen Ayurveda und Leistungssport durch ein erweitertes Bewusstsein bis zu einem gewissen Grad auflösen lässt.

„Ein Geist, der von Sattva geprägt ist, ermöglicht ein freudvolles und leichtes Leben, während Rajas von Anspannung aber auch Leidenschaft, und Tamas von fehlendem Antrieb geprägt sind.”

Die drei Gunas

Im Ayurveda wird Bewusstsein als primäre Kraft des Lebens verstanden, die alles steuert und maßgeblich darüber entscheidet, wie wir Menschen unser Leben gestalten und damit auch unser individuelles Sportprogramm ausüben. Ein Blick auf die drei Hauptgunas – Sattva, Rajas und Tamas – verrät viel über unser individuelles menschliches Temperament. (Die Hauptgunas werden auch als „Maha Gunas“ oder „Triguna“ bezeichnet.)

Die Begriffe Sattva, Rajas und Tamas beschreibt der Ayurveda als die mentalen Eigenschaften eines Menschen. Die Grundkonstitution „Manas Prakriti“ beschreibt dabei den ursprünglichen Zustand dieser Eigenschaften eines Menschen, während „Manas Vikriti“ den gegenwärtigen Zustand beschreibt, weil die Intensität sich, mit der sich die drei Gunas zeigen, im Laufe des Lebens verändern kann. Wissen wir darum, erhalten wir damit die Möglichkeit, durch unser Handeln Einfluss auf die Verteilung dieser drei Gunas zu nehmen: Ein Geist, der von Sattva geprägt ist, ermöglicht ein freudvolles und leichtes Leben, während Rajas von Anspannung aber auch Leidenschaft, und Tamas von fehlendem Antrieb geprägt sind.

Sportler sind nicht selten von Rajas dominiert. Menschen mit viel Rajas stehen große Energiereserven zur Verfügung, auf die sie gern und selbstverständlich zurückgreifen. Sie sind übermäßig aktiv und ihre Gedanken sind eher getrieben und unruhig. Sie erreichen ihre Ziele meist mühelos, sind aber auch bereit, hart dafür zu kämpfen und werden vom Ego dominiert. Zeitgleich führt die Zielerreichung nicht zum erhofften Glück und die Suche nach einem neuen Ziel beginnt, weil sie sich Ihres Dharmas nicht bewusst sind. Sie sind schnell ungeduldig mit sich selbst und anderen, und nehmen sich wenig Zeit, um gesund zu bleiben oder zu werden.

Die Caraka Sahitā, eine Jahrtausende alte Schriftsammlung der alten Veden über den Ayurveda, spricht in den Textstellen 6.3.20 und 4.1.99 von Pragyaparadh, dem Irrtum des Intellekts. Dieser meint einen Bewusstseinszustand, bei dem man sich mit den äußeren Aspekten des Lebens so stark identifiziert, dass die Wahrnehmung der eigentlichen inneren Natur, das eigene Selbst, überschattet wird. Heutzutage scheint dies leider der normale Bewusstseinszustand zu sein. In diesem Bewusstseinszustand verlernt man zu fühlen, dass man in seiner Essenz das unbegrenzte, unendliche Selbst ist. Genauso wie man in diesem Bewusstseinszustand nicht mehr spürt, dass alles im Universum mit einem verbunden ist. In diesem beschränkten Bewusstseinszustand – der laut Ayurveda nicht der gesunde und natürliche Bewusstseinszustand ist – kann es passieren, dass man Schädliches als gut und Gutes als schädlich ansieht. Die eigene Intuition für die feinen Signale von Körper und Geist ist eingeschränkt und man lebt nicht mehr spontan im Einklang mit den natürlichen Gesetzen des Lebens.

Wie lässt sich also das eigene Sportprogramm so gestalten, um die Einheit von Körper, Geist und Seele mit diesen Gesetzen wiederherzustellen?

Drei Tipps zur Schulung für die feinen Signale des Körpers, damit Sport als etwas Freudvolles und Leichtes empfunden werden und eine gesunde Wirkung auf Körper und Geist haben kann:

1) Eine Sportart und eine Ernährung wählen, die zur mentalen und körperlichen Grundkonstitution passt und Sattva fördert.

2) Während des Trainings immer wieder einen Selbstrückbezug herstellen. So lässt es sich besser erspüren, was guttut, was schadet und wie man darauf regieren sollte. Neben Meditationstechniken, wie z.B. Transzendentale Meditation, gibt es Atemübungen, die man vor, während und nach dem Training praktizieren kann. Fernsehen und Musik bleiben ausgeschaltet, Gespräche mit Trainingspartnern minimieren, damit die Aufmerksamkeit auf einen selbst gerichtet bleibt.

3) Mit einer Trainingsintensität beginnen, welche sich leicht, mühelos und freudvoll anfühlt. Sport muss nicht anstrengend sein. Nur wenn es nicht zwickt oder wehtut, wenn es sich leicht und mühelos anfühlt, kann die Intensität nach einer Aufwärmphase stufenweise gesteigert werden. Sobald Leichtigkeit und Freude verloren gehen, Schmerzen entstehen oder sich ein quälendes Gefühl einstellt, an den Punkt zurückgehen, wo es sich leicht, mühelos und freudvoll anfühlt. Denn im Ayurveda geht es darum, die Lebensfreude zu spüren, welche dem Sport innewohnt. Das allerbeste und legale „Doping“ für lebenslange Fitness und Leistungsfähigkeit.

Über die Autorin:

Sara-Diane Gorges ist zertifizierte Ayurveda Ernährungs- und Gesundheitsberaterin und angehende Heilpraktikerin. Als leidenschaftliche Sportlerin und ihren damit verbundenen Erfahrungen unterstützt sie als Gründerin von „Ayuractive“ (Leistungs-)Sportler und aktive Menschen unter Anwendung der ayurvedischen Lehren dabei, ihre sportlichen Ziele zu erreichen. Dabei baut sie die Brücke zwischen der alten indischen Heilslehre und der modernen Art Sport zu treiben.